Samstag, 15. August 2009

Warum sind Sie gegen Abtreibung?

Das wurde ich neulich gefragt. Und ich fand keine Antwort - denn es waren derart viele Antwortmöglichkeiten, die mir durch den Kopf schossen, dass ich mich kaum entscheiden konnte. Dann habe ich - ziemlich platt und wenig überzeugend - was von "Recht auf Leben" dahergeschwatzt. Au weia. Warum fällt es mir nur so schwer, Farbe zu bekennen?

Dass für mich als Katholik das Gebot "Du sollst nicht töten" gilt, wäre schon ein besseres Zeugnis gewesen. Aber das ist auch nur ein Aspekt. Mein "warum" liegt in meiner eigenen Vergangenheit.

Ich hatte eine Freundin aus den Augen verloren, die nach der 10. Klasse die Schule verlassen hatte; ich nenne sie mal Mia. Als ich bei ihrer Familie anrief, hieß es nur "Die ist nicht da." Dabei habe ich mir nichts weiter gedacht. Eine Weile später fragte ich eine Bekannte, die im selben Stadtteil wohnte, nach Mia. Antwort: "Die wohnt nicht mehr hier." Ein neuerlicher Anruf bei den Eltern. "Mia ist in der Klinik", hieß es da. In welcher? Kann ich sie besuchen? Nein, Besuche nicht erlaubt, weitere Fragen offensichtlich unerwünscht. Kann ich wohl nichts machen, dachte ich mir und habe nicht weiter darüber nachgedacht.

Zufällig traf ich Monate später eine gemeinsame Bekannte, und wir kamen ins Plaudern (oder sollte ich besser sagen: Tratschen?); das Gespräch kam irgendwann auf Mia. Sie sei völlig durchgedreht, habe versucht, jemanden umzubringen und sei jetzt in der "geschlossenen", so erfuhr ich.
Das passte überhaupt nicht zu dem, wie ich Mia in Erinnerung hatte. Das konnte nicht sein. Mit diesen "Hintergrundinformationen" wollte ich mich auch nicht an die Eltern wenden "Sagen Sie mal, hat Ihre Tochter wirklich versucht, jemanden zu töten?" Unmöglich.

Irgendwann sagte eine gemeinsame Bekannte mir, Mia sei tot - Selbstmord durch Drogen. Warum? Was sie (in Andeutungen) erzählte, hat mir sehr zu schaffen gemacht. Warum habe ich mich nicht stärker bemüht, den Kontakt mit Mia zu halten? Hätte ich ihr helfen können? Hatte ich als Freundin nicht völlig versagt? War ich nicht mit schuldig an ihrem Tod?

Ohne nun genau zu wissen, was wirklich geschehen ist (ich weiß es bis heute nicht), habe ich mir damals einiges von der Seele geschrieben:

Brand in der A.-Straße
Gestern mußte die Feuerwehr in die A.-Straße ausrücken; Nachbarn hatten bemerkt, daß Qualm aus einem der Fenster drang. Nach nur einer Stunde hatte die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle. Zwei Frauen, 42 und 17 Jahre alt, beide Bewohnerinnen des Hauses, konnten verletzt geborgen werden. Die Brandursache war vermutlich ein Selbstmordversuch der 17-jährigen.

Mörderin
(Tagebuchnotizen der G.; psychiatrische Landesklinik, geschlossene Abteilung)

Ich hatte ein Kind. Es ist tot. Ich habe es töten lassen. Ich habe es umgebracht. Warum? Weil sein Vater es so wollte, der Feigling. Schwanger? Er will kein Kind, und mich auch nicht mehr, zum schlucken zu blöde, dumme Kuh. Tot. Weil meine El­tern es wollten, diese Spießer. Mensch Mädchen, deine Zukunft, die Schule, dein Studium, du bist doch selber noch fast ein Kind, das Gerede, die Leute, Dein guter Ruf! Und was wollte ich? Weiß nicht. Sie haben mich überrollt. Druck gemacht. An die Wand gequatscht. Zugesülzt, die reinste Gehirnwäsche. Was wollte ich? Wollte ich was? Totales Durcheinander, nichts mehr auf die Reihe gekriegt, war froh, dass die anderen entschieden haben: Abtreibung.

Ich kann und will nicht mehr. Ich habe mein Kind getötet. Umbringen lassen. Zukunft, Ausbil­dung, selbst noch Kind sein? Vergiss es. Ich habe die Nase voll, alles Heuchelei. Ich mach mir nichts mehr vor. Ich habe erst kapiert, was abgegangen ist, als mein Kind schon tot war: Ich sollte es nicht sehen, sie wollten es mir nicht zeigen. In einer Stahlschüssel, zerfetzt, zerrissen, ein blutiger Klumpen, aber ein­deutig ein kleiner Mensch. Ermordet. Mein Baby. Kein Baby mehr. Tot. Und ich bin schuld. Ich habe es zugelassen. Warum lebe ich noch? Warum leben die noch?


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